Als ich den Namen „Webergut“ zum ersten Mal hörte, dachte ich an einen grossen Hof mit Kühen, Hühnern und angrenzenden Feldern und Wäldern. Die erste Postauto-Anreise ohne umzusteigen ab dem Bahnhof Bern bestätigte meine Vermutung: Die Landschaften wurden immer weitläufiger, die Dörfer immer kleiner und die Luft, die bei den Zwischenstopps herein wehte, wurde immer frischer. Umso überraschter war ich, das echte Webergut zu sehen. Inmitten anderer Bürogebäude fiel es nur durch seine unmittelbare Nähe zur Postautohaltestelle auf. Ich sah fünf Stockwerke, viel Wellblech und den einzigen beschrifteten Briefkasten „Urbane Dörfer“. Ich war also richtig. Nach und nach trafen alle anderen ein und wir waren komplett. Wir – die Talentförderung für Gestaltung & Kunst des Gymnasiums Hofwil.
Diese erste Begegnung mit unserem neuen Habitat für die kommende Intensivwoche fand im Rahmen eines Workshops mit Daniel Osterwalder, Mitglied des Urban Future Lab von Urbane Dörfer, statt. Dabei bekamen wir einen innovativen Input über Raumwahrnehmung und Storytelling und konnten das gesamte Gebäude sowie dessen Umgebung erkunden; dabei entdeckten wir dann auch den angrenzenden Wald und die Hühner, die uns am ehesten an ein klassisches Gut erinnerten. Zudem machten wir uns erste Gedanken zu unserem Thema der kommenden Woche „Wie wollen wir leben?“ Bereichert durch erste Eindrücke, viele Ideen und voll Vorfreude verliessen wir die weitgehend leere Etage im grauen Gebäude. Ein Zustand, der sich in der kommenden Woche definitiv ändern sollte.
Am Montagmorgen führte uns unsere erneute Anreise von Bern über Zollikofen und somit auf schnellstem Weg zum Webergut. Im vierten Stock erwartete uns bereits Alice Baumann von Urbane Dörfer, die uns einen Blick in ihr „Wunderland“ gewährte und uns innovative Denkweisen wie die Regnose sowie konkrete Projektinformationen zum Webergut mit auf den Weg gab. Nach einer Suppe, die wir in den bereits wohnlich möblierten Räumlichkeiten von Urbane Dörfer im obersten Stock essen durften, nahmen einige von uns an einer offiziellen Sitzung von Urbane Dörfer teil. Alice Baumann hatte Interessierte von uns dazu eingeladen, mit erfahrenen Ingenieur:innen, Umweltwissenschaftler:innen und Innovator:innen konkret über ReUse beim Projekt Webergut zu diskutieren. Unsere kreativen und auf den ersten Blick unrealistischen Ideen waren gefragt und wurden in kleineren Gruppen mit dem Fachwissen der Profis kombiniert. Wir entwarfen Pläne und Skizzen für bewachsene Fassaden, stellten die geplante, komplett neue Fassade in frage und schlugen dafür eine nachhaltigere und optisch ansprechende „Mantelfassade“ vor. In den angeregten Diskussionen konnten wir alle voneinander lernen und wir Künstler:innen bekamen ein Gefühl für die Arbeit an einem grossen konkreten Projekt.
Im Verlauf der Woche beschäftigten wir uns sehr intensiv mit dem Thema „Wie wollen wir leben“: Wir hörten Inputs über alternative Wohn- und Lebensformen und begannen eigene Ideen und kleine Projekte zu entwickeln. Den ganzen Mittwoch und Donnerstag diskutierten, fotografierten, bohrten, schrieben und filmten wir. Es entstanden neue provisorische Räume und Konzepte sowie Fotos, Performances, Installationen, Texte, Videos und Zeichnungen. Dazwischen genossen wir jeden Tag eine andere, von unseren Lehrpersonen Peter Aerni und Andrea Loux gekochte Suppe sowie Kaffee, Tee und andere kleine Zwischenverpflegungen.
Langsam aber sicher wurde der vierte Stock des Weberguts bunt und füllte sich mit unterschiedlichsten Umsetzungen unserer Utopien und Ideen. Wir hatten einen Teil des ansonsten relativ grauen Gebäudes belebt und waren ready für unsere Abschlussausstellung am Donnerstagabend. Unsere Familien und alle anderen Interessierten durften nun unterschiedliche Videos und Installationen anschauen, neu entstandene Räume erkunden, Texte lesen und Audios hören, an mehreren Orten verteilt im Raum schaukeln, sich im dunklen Warenlift ihren Ängsten stellen sowie bei einer Live Performance mitmachen.
Alle staunten über die Vielfalt des in so kurzer Zeit Entstandenen, und auch wir waren zufrieden, was wir aus der grauen, leeren Etage gemacht hatten.
Umso trauriger war das Abbauen und Aufräumen am nächsten Tag, der zugleich auch unser letzter Tag im Webergut war. In weniger als drei Stunden verschwanden sämtliche belebenden Elemente. Zurück blieben nur der stille, leere Raum und eine einzelne Schaukel, die an unser Dasein erinnern und zum weiteren kreativen Wirken im Webergut anregen soll.
Dankbar blicken wir auf unsere inspirierende Intensivwoche zurück und sind gespannt, ob wir selber sogar einmal ims Webergut einziehen werden. Denn auf die zentrale Frage „Wie wollen wir leben?“ gibt es auch nach einer ganzen Woche keine eindeutige Antwort. Sie wird uns wohl alle noch ein Leben lang begleiten.