Im Mai beschenkten wir alle Genossenschafter*innen mit dem Buch «Sieben Stock Dorf – Wohnexperimente für eine bessere Zukunft» zum Lesen und zum Weiterschenken. Autorin Barbara Nothegger erzählt darin von ihrem Experiment, als sie sich mit ihrer Familie einem gemeinschaftlichen Hausprojekt in Wien angeschlossen hat. Bevor er das Buch weiterverschenkte, fasste Genossenschafter Fredi Zumbrunn, das Buch auf vier Seiten zusammen. Diese Zusammenfassung und ein Interview von Daniel Osterwalder mit Fredi dürfen wir hier mit euch teilen.
Daniel: Lieber Fredi, du hast uns mit wundervollen Skizzen zum Buch “Sieben Stock Dorf" beschenkt. Magst du dich auch noch mit wenigen Worten vorstellen, für all jene, die dich noch nicht kennen?
Fredi: Ein ständiger Begleiter durch mein Leben war das aus dem Indischen überlieferte Credo „Mit dem Nichtwissen tanzen und mit dem Unbekannten jonglieren“. Gerade weil ich es immer wieder tue und dazu lerne, prägt diese Haltung mein Leben. Und mein Lernen. So engagiere ich mich gern in Projekten, die weder dem Mainstream folgen noch Altes und Bekanntes aufwärmen. Co-Learning im Effinger und Urbane Dörfer sind Beispiele. Heute ist meine Konstante das Unterwegssein, in Welten, mit Menschen.
Daniel: Vielen Dank. Lass uns noch etwas ins Thema eintauchen. Du schreibst und visualisierst zum Buch “Sieben Stock Dorf" und nimmst Bezug auf ein Wir-Gefühl. Unlängst las ich wieder das bekannte Ubuntu-Zitat: “Ich bin weil wir sind”. Was macht das mit dir? Welche Bezüge findest du da zu “Sieben Stock Dorf"?
Fredi: Die von der Autorin selbst erlebten und treffend geschilderten Herausforderungen machen deutlich, dass ein Mittun in einem solchen Projekt ein selbstbewusstes und offenes Ich fordert. „Ich bin wer wir sind“ heisst darum für mich nicht nur, dass ich zufrieden sein kann, wenn es die Anderen auch sind. Dieses Zitat beschreibt für mich auch die Chance, in einem derartigen Lebensprojekt miteinander, als Ich und als Teil des Wir, zu wachsen und viel dazu zu lernen. So kann aus der Schicksalsgemeinschaft eine verschworene Gruppe von engagierten Individuen werden.
Daniel: Ich schreibe zurzeit einen Beitrag über den Ablöseprozess des Triple-W “Wettbewerb – Wohlstand – Wachstum” unserer “freien” Marktwirtschaft. Dieses Triple-W ist für viele Wirtschaftswissenschaftler*innen und Politiker*innen die conditio sine qua non guten Wirtschaftens. Ich seh das eher so, dass uns diese drei W an den Rand des Abgrunds geführt haben und unsere Verbundenheit mit der inneren und äusseren Welt fast vollkommen zerschnitten hat. Du schreibst auch, dass Kooperation an die Stelle des Wettbewerbs treten soll. Wie können wir das tun?
Fredi: Indem wir es tun. Im Kleinen. Und damit zur Saat werden für eine sich ausbreitende Entwicklung. Wir haben das Wissen und die Möglichkeiten. Umdenken ist mir nicht genug. Was bringt mir Wohlstand, wenn mein ganzer Lebensinhalt darin besteht, meine materiellen Errungenschaften im ständigen Wettbewerb zu äufnen und zu verteidigen? Wir brauchen ein Wachstum nach innen. Ein anderes Verständnis. Selbstwirksamkeit in kooperierenden Gruppen. Ich bringe mich ein, trage bei zur wachsenden gemeinsamen Ressource und profitiere von Entwicklungen in dieser Co-Kultur. Coworking und Co-Learning im Effinger sind Beispiele im Kleinen, Urbane Dörfer sind der nächste Schritt.
Daniel: Wir führen ein Leben als Konsument*in oder sinnigerweise als “Prosument*in”, d.h. wir produzieren teilweise selber, was wir konsumieren. In deinen Skizzen finde ich diese Bezüge auch immer wieder: weg vom Konsumieren hin zum selber Tun. Sind wir nicht einfach Menschen mit dem Wunsch, dankbar mit zu gestalten und uns zu beteiligen?
Fredi: Mit der Antwort auf die vordere Frage nehme ich diese Entwicklung auf. Es braucht ein neues Selbstverständnis bezüglich Mitgestaltung und der gemeinsamen Gestaltung einer Co-Kultur. Das beginnt in Familien und Schulen. Wie sollen sich junge Menschen plötzlich für die Gemeinschaft und eine lebenswerte Zukunft interessieren und engagieren, wenn sie bis dahin höchstens Befehlsempfängerin und Auftragnehmer waren? Kinder und junge Erwachsene können sehr wohl Verantwortung übernehmen, wenn man sie lässt. Einige mischen sich gleich selbst ein! “Fridays for Future” ist das lebende Beispiel. Ein Aufbruch: Betroffene machen sich zu Beteiligten. Wir sind alle betroffen, gerade vom Klimawandel. Also ist es wichtig, dass möglichst viele von uns die Gelegenheit nutzen, andere Lebensformen mit zu gestalten. Uns, unseren Enkelkindern und der Zukunft der Erde zu liebe.
Daniel: Du visualisierst meines Erachtens sehr präzise, dass das, was wir bei den Urbanen Dörfern tun und worauf wir abzielen, auch zu Konflikten führen kann. Unter anderem deshalb, weil wir anders aufeinander und auf die Welt Rücksicht nehmen. Du schreibst dabei auch von Spielregeln. Magst du das ausführen?
Fredi: In einer volatilen, sich ständig verändernden Welt verändern sich auch die Voraussetzungen laufend, die zu Regeln geführt haben. So behindern überholte Regeln oft den Fluss von Entwicklungen und nehmen dem Menschen Entscheidungen ab, die er situativ auch selber treffen könnte. Es müsste uns — vorerst wohl vor allem in kleineren Gemeinschaften — gelingen, anstelle von Regelwerken eher weiter gefasste Spielregeln (Werte, Prinzipien) zu entwickeln, die einen grösseren Spiel- und Entscheidungsraum zulassen. Ein Beispiel ist der Konsent-Entscheid in einer soziokratisch organisierten Gruppe: Ich unterstütze das, womit ich leben kann. Nicht nur das, womit ich zu 100 Prozent einverstanden bin. Oder die Grundsätze der Effinger-Community, die auf Werten wie Einheit, Grosszügigkeit oder Vertrauen basieren.